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Der Bildersturm im Herzogtum Geldern

“Spaanse tirannie van de Nederlanden: Bloedraad aug. 1567 – Die spanische Tyrannei in den Niederlanden. Der Blutrat. August 1567” Quelle: Beeldbank Het Geheugen (geheugen.delpher.nl), [05670920X], NCRD, Nationaal Gevangenismuseum, Permalink: https://resolver.kb.nl/resolve?urn=urn:gvn:NCRD01:05670920X

Wer aktiv Forschung betreibt, stößt naturgemäß auf Forschungsdesiderate, denen dem eigenen Gefühl nach dringendst Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, die man aber selbst zur Zeit nicht bearbeiten kann oder will. Im Falle des Herzogtums Geldern und der Grafschaft Zutphen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist ein solches, sogar besonders auffallendes, Desiderat die Erforschung der Ereignisse während des sogenannten “Bildersturms” in den Jahren 1566 und 1567.

Die Erforschung des Bildersturms in den Niederlanden hat in den letzten fünfzig Jahren einen Standard ausgebildet, an dem sich neuere Arbeiten zu diesem Thema orientieren können und müssen. Der etablierte Zugang ist, eingedenk der für die niederländische Geschichte oft konzedierten Spezifika,[1] ein streng lokaler. Das heißt eine monographische Untersuchung konzentriert sich auf eine einzelne Stadtgemeinde oder ein kleines Territorium. Die für die Untersuchung heranzuziehende archivalische Überlieferung befindet sich dabei im Bestand des Conseil des Troubles im Belgischen Staatsarchiv, im Bestand der für die untersuchte Stadt oder das untersuchte Gebiet zuständigen Rechenkammer (diese waren für die Verwaltung der konfiszierten Güter zuständig) und im Regional- oder Lokalarchiv der untersuchten Kommune oder des untersuchten Gebietes. Die Darstellung selbst bietet eine Rekonstruktion der Ereignisse von 1566/67 und, soweit es die Quellen zulassen, eine Analyse der Sozialstruktur der Verurteilten und Verbannten. Darüber hinaus kann noch eine Einordnung in übergeordnete Kontexte erfolgen.[2]

Für das Fürstentum Geldern liegt bis heute nur eine Monographie vor, die diesem Standard entspricht.[3] Und diese widmet sich den Ereignissen in Nijmegen, wo überhaupt kein Bildersturm im engeren Sinne stattfand (die dortigen Kirchen wurden nicht gewaltsam oder geordnet auf Anweisung des Magistrats ausgeräumt), gleichwohl im Nachgang der Ereignisse von 1566/67 eine vergleichsweise hohe Zahl an Menschen durch den Conseil des Troubles verurteilt wurde. Es liegt hier also ein interessanter Sonderfall vor. Dass der Bildersturm im Herzogtum Geldern sonst bisher keine weitere wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren hat, verwundert allerdings. Denn es gab in diesem Territorium im Oktober 1566 durchaus vier paradigmatische Bilderstürme, in Roermond, Venlo, Harderwijk und Elburg. Allerdings auch nur vier, im zeitlichen Verlauf der Gesamtereignisse außerdem recht späte. Dies mag erklären, warum in Überblickswerken nur noch halbherzig auf die Vorgänge in Geldern verwiesen wird, ohne weiter darauf einzugehen. Die Vernachlässigung Gelderns in der Forschung und Geschichtsschreibung zum Bildersturm in den Niederlanden hat aber durchaus Tradition, wenn man das von Gerard van Hasselt[4] angeführte Zitat eines alten Geschichtsschreibers heranzieht: Gelria pene tota pro religione stetit. (“Geldern verblieb gänzlich bei der [wahren] Religion.”) Dieses Urteil ist in dieser Pauschalität jedenfalls nicht richtig. Insgesamt liegt somit im Falle des Bildersturms im Herzogtum Geldern m. E. ein wirkliches Forschungsdesiderat vor, das zügig bearbeitet werden kann. Der Untersuchungs(zeit)raum ist klar begrenzt, die zu prüfende archivalische Überlieferung ist bekannt, die anzuwendende Methode etabliert. Mein Eindruck zur Zeit ist der, dass jeder der vier Fälle Roermond, Venlo, Harderwijk und Elburg einzeln monographisch behandelt werden kann; bei der geringen Zahl der Fälle könnte aber auch “die große Lösung” angestrebt und eine Monographie zum “Bildersturm im Herzogtum Geldern und der Grafschaft Zutphen” insgesamt in Angriff genommen werden, die alle vier Bilderstürme in einer Untersuchung abhandelt.

Beginn der ersten bei G. v. Hasselt abgedruckten Verbanntenliste. Quelle: Hasselt, Stukken, Bd. 1, Nr. 103, S. 215.

Als eine Art Vorstudie für die Untersuchung des Bildersturms im Herzogtum Geldern böte sich dabei m. E. eine Analyse der bei Gerard van Hasselt abgedruckten Verbanntenlisten an.[5] Diese waren eine direkte Folge der Tätigkeit des Conseil des Troubles in den Niederlanden nach 1567. Da dessen Urteile fast immer auf Tod (und Konfiskation des Eigentums) lauteten, entzogen sich viele Angeklagte dem Gericht durch Flucht. Wer freilich nicht zum angesetzten Termin vor den Kommissaren des Conseil erschien, wurde automatisch auf Lebenszeit und bei Strafe des Erhängens aus den habsburgischen Niederlanden verbannt. Das Eigentum auch dieser Personen wurde au prouffict de sa dit Majesté eingezogen. Über dieses Schicksal einzelner Untertanen mussten natürlich die Höfe der betreffenden Territorien unterrichtet werden und dies geschah im Falle des Herzogtums Geldern und der Grafschaft Zutphen unter anderem über die bei van Hasselt abgedruckten Listen. Sie sind alle in französischer Sprache abgefasst, textstrukturell gleich aufgebaut, bieten viel Personennamenmaterial, aber gelegentlich auch Hinweise auf die berufliche Tätigkeit einzelner Verbannter. Vor allem aber werden die Vergehen genannt, deren die aufgeführten Personen beschuldigt wurden. Auf dieser Basis ließen sich mithilfe einer systematischen, tabellarischen Auswertung anhand der Verbanntenlisten möglicherweise ein soziales Profil der “Bilderstürmer” und Aufständischen der Jahre 1566/67 sowie eine Art Idealtypus des geldrischen und auch niederländischen Bildersturms von 1566 erstellen. Diese Untersuchung ließe sich sehr gut im Rahmen einer Bachelor- oder Masterarbeit bewerkstelligen. Das Quellenkorpus ist überschaubar, aber nicht winzig; es ist leicht zugänglich, die entsprechenden Bände sind als Image-Digitalisate vollständig und kostenfrei auf den Servern der Bayerischen Staatsbibliothek einseh- und herunterladbar[6]; die Schrift ist Antiqua und damit leicht lesbar; und die Arbeit an den Verbanntenlisten ermöglicht in jedem Fall das Erlernen eines methodischen Umgangs mit seriellen Quellen.

 


[1] “Dutch history, more than any other, is the sum of local histories.” J. S. Bromley, zitiert nach Maarten Hageman, Het kwade exempel van Gelre. De stad Nijmegen, de Beeldenstorm en de Raad van Beroerten, 1566-1568, Nijmegen 2005 [Werken Gelre 59], S. 16.

[2] Beispiele, neben vielen anderen, für Untersuchungen dieser Art sind: Peter Arnade, Beggars, Iconoclasts and Civic Patriots. The Political Culture of the Dutch Revolt, Ithaca u. a. 2008, S. 125-165 (für Flandern); Carole Payen, Aux Confines du Hainaut, de la Flandre et du Brabant: Le Bailliage d’Enghien dans la tourmente iconoclaste (1566-1576). Étude de la répression des troubles religieux à la lumière des archives du Conseil des Troubles et des Comptes de confiscation, Courtrai-Heule 2013 [Anciens Pays et Assemblées d’États/Standen en Landen 109]; Joseph G. C. Venner, Beeldenstorm in Hasselt 1567. Achtergronden en analyses van een rebellie tegen de prins-bisschop van Luik, Leeuwarden u. a. 1989 [Maaslandse monografieen 48].

[3] Hageman, Het kwade exempel (wie Anm. 1)

[4] Gerard van Hasselt, Stukken voor de vaderlandsche historie, Bd. 1, Arnhem u. a. 1792, S. 216.

[5] Die erste ist abgedruckt van Hasselt, Stukken, Bd. 1 (wie Anm. [4]), Nr. 103, S. 215 f., die letzte Gerard van Hasselt, Stukken voor de vaderlandsche historie, Bd. 2, Arnhem u. a. 1792, Nr. 35, S. 57 ff.

[6] Van Hasselt, Stukken (wie Anm. [4] und [5]), Band 1 und Band 2.

 

Zitierweise:
Tenhaef, Tobias: “Der Bildersturm im Herzogtum Geldern. Ein Forschungsdesiderat”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 08.02.2021, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2021/02/bildersturm-geldern-desiderat/