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Auswandererforschung im Nationalsozialismus

Die sogenannten Auslandsdeutschen, Nachfahren von teilweise vor Jahrhunderten insbesondere nach Südosteuropa sowie Nord- und Südamerika ausgewanderten Menschen, spielten in der NS-Ideologie und Propaganda eine wichtige Rolle. Sie galten als kultureller Vorposten des ‚Deutschtums im Ausland‘ und wurden dementsprechend für die politischen Zwecke des Regimes instrumentalisiert. Der Auswandererforschung kam in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, Personen mit deutschen Vorfahren weltweit zu identifizieren und zu lokalisieren. Wissenschaftler, die eine andere, weniger politische Forschungsagenda verfolgten, wurden marginalisiert und unterdrückt.

In einem aktuellen Aufsatz in der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte analysiere ich eine Kontroverse, die in den frühen 1940er Jahren von dem Bonner Auswandererforscher Joseph Scheben (1901–1973) und dem Deutschen Ausland-Institut (DAI) in Stuttgart ausgetragen wurde.[1] Dieser Methodenstreit über die Erforschung der deutschen Amerikaauswanderung erhellt die genannten Zusammenhänge gleichsam paradigmatisch: Scheben kann dabei als Vertreter einer älteren, auf die Auswanderung als solche konzentrierten, internationalen Forschungstradition charakterisiert werden. Das DAI argumentierte dagegen im Sinne der NS-Ideologie vor allem rassen- bzw. ‚sippenkundlich‘ und propagierte eine außenpolitisch erwünschte Abschottung gegenüber der amerikanischen Forschung.

Grundlage von Schebens Forschungen waren umfassende Quellenstudien zur Amerikaauswanderung aus der Eifel. Dazu gehörte auch das Sammeln von Auswandererbriefen, die sich in seinem Nachlass in der ULB Bonn erhalten haben.[2] 1939 wurde Scheben von Franz Steinbach in Bonn mit der Dissertation „Methode und Technik der deutschamerikanischen Wanderungsforschung“ promoviert.[3] Die analysierte Kontroverse gibt damit auch Einblick in die Geschichte der Landesgeschichte im Rheinland und stellt einen Teil der Bonner Universitätsgeschichte dar.[4]

 


[1] Andreas Rutz: Auswandererforschung im Nationalsozialismus. Joseph Scheben und das Deutsche Ausland-Institut, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 105 (2018), S. 34–63.

[2] Vgl. die Edition von Jürgen Macha, Marlene Nikolay-Panter u. Wolfgang Herborn (Hrsg.): „Wir verlangen nicht mehr nach Deutschland“. Auswandererbriefe und Dokumente der Sammlung Joseph Scheben (1825–1938). Frankfurt a. M. u. a. 2003.

[3] Joseph Scheben: Untersuchungen zur Methode und Technik der deutschamerikanischen Wanderungsforschung an Hand eines Vergleichs der Volkszählungslisten der Township Westphalia, Clinton County, Michigan, vom Jahre 1860 mit Auswanderungsakten des Kreises Adenau (Rheinland) (Forschungen zur rheinischen Auswanderung 3), Bonn 1939.

[4] Vgl. hierzu Manfred Groten u. Andreas Rutz (Hrsg.): Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen – Entwicklungen – Perspektiven, Göttingen 2007.

 

Zitierweise
Rutz, Andreas: “Auswandererforschung im Nationalsozialismus. Joseph Scheben und das Deutsche Ausland-Institut”, in: Histrhen. Rheinische Geschichte wissenschaftlich bloggen, 6.6.2018, http://histrhen.landesgeschichte.eu/2018/06/auswandererforschung im nationalsozialismus/